Nicht Hierarchie, sondern Horizont
Im lesbischen Kino markiert Altersunterschied kein starres Machtgefälle, sondern einen symbolträchtigen Unterschied. Vor allem in Coming-of-Age-Geschichten steht die ältere Frau nicht für Kontrolle, sondern für Möglichkeiten und Perspektiven: Sie verkörpert eine denkbare Zukunft, eine Verheißung auf ein anderes Leben. Gerade in provinziellen, einengenden Umständen wie in Mädchen in Uniform oder dem Berlinale-Gewinnerfilm wird sie zur Projektionsfläche, zum begehrenswerten Anderen außerhalb des Alltags.
Da überrascht es kaum, dass es meist die Jüngeren sind, die den ersten Schritt machen – so auch in Ammonite, in dem sich die Adlige Charlotte behutsam der prekär lebenden Paläontologin Mary Anning nähert.
Das lesbische Kino übernimmt damit keine patriarchalen Logiken, es unterläuft sie: Während heterosexuelle (Liebes-) Filme oft zeigen, wie ältere Männer jüngere Frauen „nehmen“, um Macht zu sichern, geht es hier nicht um Absicherung oder Aufstieg in einem bürgerlichen System – sondern um Intimität abseits davon.
Statt Jugendkult begehrt das lesbische Kino die erfahrenere Frau
Mehr noch: Die Jüngere wird nicht als passives Objekt inszeniert, die Ältere nicht als weniger begehrenswert. Statt eines Jugendkults, der Frauen ab einem bestimmten Alter unsichtbar macht, begehrt das lesbische Kino die erfahrenere Frau – nicht trotz, sondern wegen ihrer Geschichte. Die Jüngere wiederum ist oft Initiatorin, Impulsgeberin, zeigt Wege auf, die die Ältere sich bislang nicht erlaubte oder, wie in Carol, längst nicht mehr zu gehen wagte.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Bedenken der Kritikerinnen im Berlinale-Foyer nicht unverständlich – aber unangebracht. Oslo-Stories: Träume romantisiert kein problematisches Gefälle. Der Film erzählt von Projektion, Sehnsucht, einer anderen Erfahrungswelt während der weiterhin oft schwierigen Phase des Coming-outs.
Er steht damit in einer langen Tradition des lesbischen Kinos, das bei aller Unaufgeregtheit im Erzählen von Begehren über Altersgrenzen hinweg eben auch das ist: subversiv – weil es eine andere Vorstellung von Verbundenheit anbietet. Und vielleicht ist der Altersunterschied gerade deshalb so wirkungsvoll als filmischer Sehnsuchtsort – weil er hier nicht von Hierarchie erzählt, sondern von Hoffnung, nicht von Ordnung, sondern von Aufbruch.