Gut acht Wochen nach der Zeugung haben sich alle Gewebe, Körperteile, Organe geformt und sind zum großen Teil funktionstüchtig. Die befruchtete Eizelle hat sich zum Embryo gewandelt und ist auf das 150-fache ihrer ursprünglichen Größe gewachsen. Bis zur Geburt nimmt dessen Länge nochmals um das 15-fache zu, das Gewicht sogar um das 300– bis 400-fache.
Die Geburt ist ein extremer Wechsel der Umgebung
Nach rund 38 Wochen schließlich ist der neue Mensch bereit für einen grundlegenden Umschwung: die Geburt. Das Kind selbst schüttet Hormone aus und sendet so Signale an den mütterlichen Körper, die diesen Vorgang einleiten. Während der eigentlichen Geburt macht es einen dramatischen Wechsel des Lebensraums durch. Aus einer dunklen, warmen und geschützten Umgebung im Mutterleib gerät das Baby in eine helle, kalte und von Licht- und akustischen Reizen überflutete Welt, in der es atmen und Nahrung in Form von Muttermilch selbst aufnehmen muss.
Die nächste Phase, die Kindheit, wird vor allem durch zwei Vorgänge geprägt: schnelles körperliches Wachstum und das Erlernen von Fähigkeiten. Direkt nach der Geburt bestimmen angeborene Reflexe das Verhalten. Doch nach und nach übernehmen höhere Hirnregionen die Kontrolle über die Bewegungen. Das Baby lernt den Kopf zu heben, sich zu drehen, zu krabbeln und – mit etwa einem Jahr – auf zwei Beinen zu laufen.
Innerhalb des ersten Lebensjahres hat es sein Gewicht verdreifacht und etwa um 50 Prozent an Größe zugenommen. Aber es hat auch enorm viel gelernt, wobei die Vernetzung seines Gehirns stetig komplexer wurde, und das geschieht weiter: Im Alter von drei bis vier Jahren beherrscht das Kind die wichtigsten physischen Herausforderungen, etwa das Gehen, Springen, Laufen, Treppensteigen und Hantieren mit Objekten.
Superschnelle Nervenfasern dank spezieller Isolierung
Für die motorische und geistige Entwicklung von größter Bedeutung ist ein Vorgang, der die elektrische Leitfähigkeit in den Nerven enorm verbessert und mit sieben Jahren weitgehend abgeschlossen ist. Dabei geht es um eine Umkleidung der Nervenfasern mit einem isolierenden Material, die eine weitaus schnellere Weiterleitung von Reizen erlaubt. Sie ermöglicht es, eine große Anzahl feiner Neuronen zu hoch effektiven, schnellen Schaltkreisen zusammenzuschließen – und so die Funktion des Gehirns für die folgenden Lebensabschnitte zu optimieren.
Die nächste Phase beginnt bei Mädchen im Alter von zehn bis elf Jahren, bei Jungen im Durchschnitt zwei Jahre später: Sie nehmen erneut kräftig an Größe zu. Doch dies ist kein reiner Wachstumsschub, sondern eine Art Revolution: Der Körper baut sich selbst nochmals kräftig um – von dem eines Kindes zu dem eines Erwachsenen. In der Pubertät bereitet er sich zudem auf seine wichtigste biologische Aufgabe vor: die Fortpflanzung.
Revolution im Gehirn: Weshalb Pubertierende so seltsam sind
So prägen sich unter dem Einfluss der Geschlechtshormone die charakteristischen Körpermerkmale von Frau und Mann aus. Doch mindestens ebenso wichtig sind Vorgänge im Gehirn; es strukturiert sich in dieser Lebensphase um – mit weitreichenden Folgen: Pubertierende kommen morgens nur schwer aus dem Bett, neigen zu Gefühlsausbrüchen, können die Konsequenzen ihres Handeln oft nicht einschätzen, gehen hohe Risiken ein und kommen auf außergewöhnliche, kreative Ideen.
Wenn diese Revolution mit etwa 20 Jahren langsam ausklingt, steht der Mensch auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Entwicklung – und wird dieses Niveau etwa ein Jahrzehnt lang halten können. Der Organismus ist nun anatomisch, physiologisch und sexuell voll ausgereift. Muskeln, Herz und andere Organe funktionieren am effizientesten. Spitzensportler sind auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit.
Dass wir immer dieselben bleiben, ist eine Illusion
Der junge Mensch hat nun bereits mehr als ein Viertel seiner statistisch zu erwartenden Lebensspanne hinter sich gebracht. Seit Jahren besitzt er ein Bewusstsein seiner selbst, seiner individuellen Einzigartigkeit und lebt mit dem Gefühl, immer dieselbe Person gewesen zu sein. Doch was den Körper betrifft, ist dieser Eindruck von Beständigkeit ein Trugschluss.
Denn die meisten Zellen seines Körpers sterben nach einiger Zeit – manche nach Tagen, andere nach Wochen oder Monaten – ab und werden durch neue ersetzt. Die Zellen etwa, welche die Schleimhäute von Magen und Darm bilden, existieren nur wenige Tage lang. Sind sie verbraucht, sterben sie und werden ins Innere der Organe abgestoßen. Nur wenige Zelltypen, etwa Nerven-, Herzmuskel- und die meisten Sinneszellen, müssen ein Leben lang halten.
Noch stärker wandelt sich der Mensch auf der Ebene der Moleküle: Degenerierte, nicht mehr richtig funktionierende werden ununterbrochen gegen intakte und unverbrauchte ausgetauscht. So täuscht der Eindruck, dass der Mensch einen beständigen Körper hat; die Konstanz liegt allein im Wandel. Trotz des Gefühls eines Individuums, immer dasselbe zu sein, macht sein Organismus eine Entwicklungsphase nach der anderen durch.
Schon auf dem Gipfel der Kraft trägt der Körper den Zerfall in sich
Und noch eines dürfte einer:einem jungen Erwachsenen in dieser Lebensphase nicht klar sein: Sein Körper, der die maximale Fitness erreicht und den Gipfel der Kraft erklommen hat, trägt längst den Zerfall in sich. Obwohl wir es nicht wahrhaben wollen, sind wir vom Beginn unseres Daseins an dem Untergang geweiht. Denn der Körper führt einen Kampf gegen das Chaos, den er auf molekularer Ebene einfach nicht gewinnen kann.
Es beginnt mit den Eiweißmolekülen. Damit eine Zelle optimal leistungsfähig bleibt, müssen alle biochemischen Vorgänge in ihr reibungslos ablaufen. Doch die Moleküle verlieren nach einiger Zeit an Wirkung, indem sich zum Beispiel ihre räumliche Struktur verändert: Sie altern. Deshalb werden in der Zelle ständig neue Eiweiße hergestellt und alte vernichtet. Doch weil die DNA im Laufe eines Lebens ebenfalls Schäden erleidet – und zwar umso mehr, je länger ein Mensch existiert – werden immer häufiger unvollkommene Eiweißmoleküle fabriziert.
Weshalb die Haut schlaffer wird und das Auge schlechter sieht
Auch auf den Ebenen der Zellen, der Gewebe und Organe macht sich der Alterungsprozess bemerkbar. So wird beispielsweise die Haut im Verlauf der Jahre immer schlaffer und faltiger, weil sich der Stoffwechsel in bestimmten Fasern, aus denen sie aufgebaut ist, verlangsamt und sich das darunter liegende Bindegewebe verändert.
Das Auge, das mit 30 Jahren noch Dinge in zwölf Zentimeter Abstand scharf sieht, kann im Alter von 50 Jahren nur noch auf eine Entfernung von mehr als 30 Zentimetern fokussieren, weil die Augenlinse nicht mehr so elastisch ist. Und die Muskelkraft lässt nach: Zwischen 30 und 80 Jahren verlieren die Muskel durchschnittlich 30 Prozent ihrer Zellen.
Allerdings muss die körperliche Leistungsfähigkeit nicht zwangsläufig nachlassen. Offenbar haben Training und Lebensweise einen starken Einfluss auf Muskelkraft und Ausdauer. Und das gilt wohl auch für viele geistigen Fähigkeiten. Der Mensch kann sich also gegen den unaufhörlichen Verfall stemmen, kann ihn abbremsen. Verhindern aber kann er ihn – zumindest bislang – nicht.
Training hilft, kann aber den Abbau nicht rückgängig machen
Trotz allen Trainings verändert sich der Körper immer weiter und wird in den letzten Lebensjahrzehnten immer schwächer und anfälliger für Krankheiten. Die vom Herzen beförderte Blutmenge sinkt, die Atemkapazität nimmt deutlich ab, weil die Lunge an Elastizität verliert. Die Geschwindigkeit der Reizleitung in den Nerven wird geringer und Reflexe werden langsamer. Zudem degenerieren Muskeln, Gelenke werden steifer und die Kopfbehaarung wird schütterer.
Und am Ende siegt der Zerfall, denn die sich ansammelnden Schwächen, Schäden und Veränderungen in den Zellen bewirken, dass irgendwann die ersten Organe versagen – häufig das Herz-Kreislauf-System. Auch Krebserkrankungen fordern ihren Tribut: Schäden am Erbgut lassen Tumorzellen unkontrolliert wachsen, bis sie andere Gewebe und Organe schädigen oder zerstören.
Auf molekularer Ebene betrachtet, ist Altern also eine Anhäufung von Schäden, die die hochkomplexe Ordnung des Lebens stören. Forschende haben mittlerweile etliche Faktoren entdeckt, die solche Defekte auslösen: Zum Beispiel ultraviolette, kosmische oder Röntgenstrahlung, chemische Mutagene wie etwa Nitrosamine, manche Viren oder spontane Mutationen (Kopierfehler während der DNA-Verdoppelung). Eine entscheidende Rolle beim Altern aber spielen aggressive Sauerstoffverbindungen: sogenannte freie Radikale.
Hungern bremst die Alterungsprozesse
Weil sie vor allem bei der Energiegewinnung in der Zelle entstehen, kamen Forschende auf eine Idee: Eine kalorienarme Ernährung – bei der also weniger Energie umgesetzt wird und somit weniger der aggressiven Stoffe frei werden – könnte diesen Schädigungsmechanismus vermindern und so die Alterung aufhalten. Tatsächlich erwies sich in Tierversuchen: Eine um 30 bis 40 Prozent gegenüber der normalen Kost reduzierte Hungerdiät verlängerte das Leben von Mäusen, Fliegen sowie Würmern. Und dieser Mechanismus scheint beim Menschen ebenfalls zu greifen.
Zum einen entstehen bei geringerer Nahrungszufuhr in den Kraftwerken der Zelle offenbar weniger schädliche freie Radikale. Zum anderen aber aktiviert der Hungerstress zusätzlich einen molekularen Mechanismus, der die DNA vor Schäden bewahrt.
Auch etliche Gene können den Schutzmechanismus ankurbeln und die Lebensdauer steigern. Es handelt sich offenbar um Kontrollgene, die der Körper normalerweise erst ankurbelt, wenn er unter Stress steht und die dazu dienen, das Überleben in extremen Situationen zu gewährleisten. Wie man inzwischen weiß, spielen epigenetische Strukturen – quasi Schalter, die die Aktivität von Genen regulieren – ebenfalls eine Rolle beim Altern.
Die meisten Zellen enthalten eine Lebensuhr, die ihr Ende besiegelt
Es gibt noch etwas, das die Lebensspanne begrenzt: Offenbar tragen die meisten Körperzellen eine Art molekulare Zeitbombe in sich. An den Enden ihrer Chromosomen – die ja die Erbsubstanz enthalten – tragen die Zellen eine spezielle Molekülkette. Sie signalisiert der Zelle „Ich darf mich teilen“. Doch bei jeder Teilung wird ein Stückchen der Kette abgeschnitten. Ist sie ganz verschwunden, erhält die Zelle nun das Signal: „vernichte dich selbst“ und ein Selbstmordprogramm spult sich ab.
Rund 50 Mal kann sich eine solche Zelle daher teilen – dann ist Schluss.
Wenn aber keine neuen Zellen mehr gebildet werden, kann der Körper sich nicht mehr regenerieren und ist dem Untergang geweiht. Der Tod ist also von der Evolution fest vorgesehen. Mit 115 bis 120 Jahren sei das Limit der menschlichen Lebensspanne erreicht, nehmen manche Fachleute an.
Auch wenn die Forschung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat und sich manche Alterungsprozesse vielleicht bremsen, im Tiermodell an Mäusen sogar zurückdrehen lassen – die Tür zum „ewigen Leben“, zu extremer Langlebigkeit, ist für Menschen noch immer nicht aufgestoßen. Und deshalb müssen wir uns vorerst damit abfinden, dass unser Organismus verfallen und sich am Ende auflösen wird.
Menschen sind aus Sternenstaub gemacht
Sobald das Leben aus dem Körper weicht, siegen die Kräfte des Chaos. Hochkomplizierte Eiweißverbindungen, Kohlenhydrate und Fette zerfallen in kleinere Moleküle. Bei einer Erdbestattung mögen sie zum Teil noch anderen Organismen als Nahrung dienen und somit erneut in den Kreis des Lebens gelangen.
Bei einer Feuerbestattung entflieht der größte Teil der körperlichen Überreste als Kohlendioxid in die Atmosphäre. Dort kann der Stoff zunächst verweilen, um irgendwann von Pflanzen aufgenommen zu werden und so in den Kreislauf zurückkehren. In der Asche der Verstorbenen finden sich Mineralstoffe, die vor allem die Elemente Phosphor und Kalzium, aber auch Sauerstoff, Kohlenstoff, Kalium, Schwefel, Natrium oder Magnesium enthalten. Viele davon sind wichtige Nährstoffe für die Vegetation.
Dass es all diese Teilchen, aus denen unsere Körper aufgebaut sind, überhaupt gibt, ist ebenfalls einem Todesfall zu verdanken. Denn die meisten Elemente entstanden einst im Inneren von riesigen Sternen und wurden unter ungeheurem Druck durch Fusionsprozesse gebildet. Und als diese Sterne ihre Existenz in einer gigantischen Explosion als Supernova beendeten, schleuderten sie ihr Innenleben ins All hinaus. Aus den Resten solcher Explosionswolken hat sich einst unser Sonnensystem mitsamt der Erde geformt. Vielleicht mag daher im Angesicht des Todes diese Vorstellung tröstlich erscheinen: Wir Menschen sind aus Sternenstaub gemacht und nach dem Ableben werden unsere Atome wiederum in anderen Organismen recycelt. So gesehen bilden Leben und Sterben einen immerwährenden Kreislauf.