Aus dem Heft

"Vergesst nie, dass es ein Protestmarsch ist"

Maxine Wolfe hat vor fast 30 Jahren den ersten Dyke March in New York mitgegründet. Im Interview mit L-MAG erklärt sie, warum ein klares Zeichen für lesbische Sichtbarkeit bis heute wichtig ist

Dieses Interview erschien zuerst in der Juli/August-Ausgabe. Wer mehr zum Thema "lesbische Sichtbarkeit" lesen möchte, kann das hier.

Vor 26 Jahren gab es im April 1993 in Wahington D.C. den ersten Dyke March der Welt. Der Erfolg war so groß, dass das Konzept in ande­ren nordamerikanischen Metropolen aufgegriffen wurde und heute Tradition ist. Maxine Wolfe war von Anfang an dabei: Die mittlerweile verrentete, ehemalige Professorin der City University of New York war eine der Mitbegründerinnen des "New York City Dyke March" im Juni 1993 und ebenso frühere Aktivistin bei den Lesbian Avengers. Die 78-Jährige ist zudem noch immer als Koordina­torin des "Lesbian Herstory Archives" tätig, dem großen lesbischen Archiv in New York. Im L-MAG-Telefoninterview gibt sie jungen Aktivistinnen einen Rat und erzählt von dem neuesten Trend, dass junge Frauen sich vermehrt wieder als Lesbe bezeichnen.

L-MAG: Könntest du für unsere deutschsprachigen Leserinnen den Unterschied zwischen Lesbe und Dyke erklären?

Maxine Wolfe:
Ich sehe keinen Unterschied, glaube aber, dass es für jüngere Frauen inklusiver ist. Wir nennen es Dyke March, weil wir das Wort Dyke für ein starkes Statement halten. Zu Beginn ging es auch darum, dass wir uns Wörter wieder aneignen, die gegen uns benutzt wurden. Wenn dich Leute früher Dyke nannten, war das negativ gemeint. Und so haben wir uns das Wort wieder angeeignet und positiv umgedeutet.

Seit dem ersten Dyke March sind fast 30 Jahre vergangen. Was ist die politische Botschaft heute?
Maxine: Wir wählen jedes Jahr einen neuen Slogan. Letztes Jahr sollte es um eine Bäckerei gehen, die sich weigerte, einen Kuchen für ein lesbisches Pärchen zu backen. Über Nacht wurde dann jedoch ein neuer Slogan gefunden, denn die Konflikte um Einwanderung wurden sehr akut, das Motto hieß dann "Stand against ICE" (Aufstehen gegen die Polizei- und Zollbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit der USA). Dieses Jahr wird es sicher auch eher sehr politisch. Einige Mottos, die gerade in der Diskussion sind: "No Dyke Left Be­hind" (Keine Lesbe wird zurückgelassen), "Dyke Power Beyond Borders" (Lesbenpower über Grenzen hinweg) oder "Dykes Without Borders" (Lesben ohne Grenzen).

Wir haben es weltweit immer mehr mit der Unsichtbar­keit - und geradezu dem Verschwinden von Lesben zu tun. Was ist in dem Zusammenhang wichtig für dich?
Maxine:
Na, der Dyke March! (Lacht) Darum haben wir ja damit angefangen. Manche Leute glauben, heute sei alles anders als früher und in mancher Hinsicht hat sich auch einiges verändert. In der Welt an sich ist es aber gleich geblieben - wir waren immer die Unsicht­baren in der LGBT-Community. Aber ich muss sagen, dass ich vor allem von jüngeren Lesben höre, dass viele wieder das Wort "Lesbe" und auch "Dyke" benutzen.

Echt? Dabei geht doch der Trend in Richtung queer oder nicht-binär.
Maxine:
Ja, das Phänomen gab es hier natürlich. Dennoch haben wir gerade in den "Lesbian Herstory Archives" sehr viele junge Praktikantinnen, die sich nicht queer nennen. Einige bezeichnen sich als nicht-binär, aber viele auch nicht. Aus Sicht des Archivs, wo wir ja Material zum Thema Identität sammeln, kann ich nur sagen: Die Dinge ändern sich immer wieder. Und man muss auch beachten: Es geht oft nur um bestimmte Gruppen. In der afroamerikanischen Community gibt es zum Beispiel die "Aggressives (AG)" oder andere nennen sich "Boi" - darüber wird kaum gesprochen. Wenn eine bestimmte Gruppe definiert, wie sich andere Leute zu nennen haben, so ist das deshalb historisch noch lange nicht wahr. Es gibt Frauen, die sich "Gay Women" nennen - und die sind nicht alle 78 Jahre alt (lacht) - und andere, die sich als Lesben, Butch, Femme, genderqueer bezeichnen - ich könnte dir eine lange Liste verschiedener Identitäten nennen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es schon immer viele ver­schiedene Arten und Worte dafür gab, wie sich Lesben selber definierten, historisch und auch kulturell ist das wichtig. Diese Begriffe kommen und verschwinden wieder. Und zum Anfang des 20. Jahrhunderts sagten die Leute auch "queer".

Mittlerweile gibt es auch in Deutschland über zehn Dyke Marches, das Konzept scheint sich also weiter zu verbreiten.
Maxine:
Das ist toll. Es gibt sie auf der ganzen Welt, in Südafrika, Mexiko und vor zwei Jahren auch in Japan. Es ist so interessant, dass die Dyke Marches nun überall entstehen. Ich glaube, Lesben kapieren überall, dass sie ausradiert werden.

Und ist das nicht eine tolle Bestätigung eurer Arbeit, gibt euch das Kraft?
Maxine: Auf jeden Fall! Die Frage ist nur, wie man es am Leben erhält. Wir sind eine echte Grassroots-Organisation, und alle Arbeit ist ehrenamtlich. Das Komitee sammelt alles Geld, mit Tombolas, und am Ende des Dyke March stehen wir in einer Reihe mit großen Taschen und fragen die Teilnehmenden nach Spenden. Wir machen für unsere Verhältnisse sogar viel Geld, sodass wir das in den letzten Jahren weitergespendet haben, wie an eine Immigrations-Unterstützungs­gruppe in Texas. Wir sind absolut nicht geldgierig. Wir machen nur das Banner, einige Schilder, Tombola-Preise, T-Shirts für die Helferinnen und das ist es schon.

Ihr seid keine angemeldete Demo, wie macht ihr es mit dem Verkehr, das regelt nicht die Polizei?
Maxine: Den stoppen wir selber, das machen unsere Marshals (Ordnerinnen). Eigentlich müsste das die Polizei machen, aber wir haben denen ­gesagt, das tun wir lieber selber.

Was ist dein Rat an die "Baby Dyke Marches" in Deutschland. Welches Vermächtnis sollten wir erhalten?
Maxine: Vergesst nie, dass es ein Protestmarsch ist, das ist das eine. Und es ist nicht nur für eine limitierte Gruppe, ganz nach dem oft benutzten Motto: "Niemand ist frei, solange wir nicht alle frei sind." Auf der ganzen Welt gibt es Teile unserer Community, die sich anpasst, während es diesen massiven Rechtsruck gerade auch in Europa und natürlich ganz offensichtlich hier in den USA gibt. Irgendwer muss aufstehen und sagen, dass das inakzeptabel ist. Das andere ist, die Verpflichtung und Hingabe, den Dyke March immer weiter fortzu­führen. Denn es ist sehr wichtig, dass es lesbische Sichtbarkeit gibt!

// Interview: Manuela Kay

Mehr Infos unter: www.nycdykemarch.com

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