Es ist doch paradox, Frauen das Gedenken an jene zu verbieten, die aufgrund ihres Begehrens im Nationalsozialismus ermordet wurden. Gerade aus einer antifaschistischen Perspektive.
Sexuelle Emanzipation gehörte halt nicht zum Programm der Arbeiterbewegung. Obwohl es Lesben waren, die den Staat auf das Thema Homosexualität aufmerksam gemacht haben, gab es zum Beispiel in dem Buch "Homosexualität" von Rainer Werner, das 1987 erschien, gerade mal drei Seiten zum Thema "Lesbizität". Das finde ich ärgerlich. Das Thema tauchte sonst vielleicht mal in einem Krimi auf - wobei die Lesben dabei natürlich die Kriminellen waren. Im November 1989 kam dann der erste Film zum Thema, "Coming Out", von Heiner Carow und wieder ging es nur um Schwule. Aber das ist trotzdem ein wunderbarer Film.
Wie hat sich die Angst vor einer Überwachung der Stasi auf euer Privatleben ausgewirkt?
Es gab ein Bewusstsein über die Stasi, aber in die Berliner Lesbengruppe zum Beispiel ist nachweislich nie eine "Inoffizielle Mitarbeiterin" (IM) reingekommen. Das lag unter anderem daran, dass es sich um Freundinnenkreise handelte, in denen man nicht einfach so auf einer unverbindlichen Ebene mitarbeiten konnte. Aber es gab auch Gruppen, in denen nach der Wende Spitzel-Aktivitäten aufgedeckt wurden. Und natürlich hat es auch immer so ein Misstrauen gegeben. Es wurde spekuliert: "Wer von uns ist die IM?" Das hat die interne Atmosphäre zeitweise vergiftet. Das war krass, als im Nachhinein IMs enttarnt wurden. In der Dresdener Gruppe gab es zum Beispiel welche. Das verletzt das Vertrauen und reißt eine Wunde auf, die man nicht wirklich heilen kann.
Du hast 1988 das Archiv GrauZone gegründet, um lesbisches Leben in der DDR zu dokumentieren und Erinnerungsarbeit zu leisten. Wie wichtig ist DDR-Erinnerungskultur für eine neue queere Bewegung?
Erinnerungskultur ist für jede Bewegung wichtig. Es ist immer gut zu wissen, wo man herkommt und wie die Verhältnisse waren. Außerdem lebt die Geschichte ein Stückchen in uns weiter. Es ist auch ermutigend zu erfahren: da gab es Andere vor mir, und die haben etwas erreicht. Es lohnt sich also zu kämpfen und frau kann etwas von den Vorgängerinnen lernen. Ich finde, das Wissen um Geschichte ist wichtig und hilfreich bei der eigenen Identitätsfindung und um die Geduld für den eigenen Kampf aufzubringen. Ich bin trotzdem erstaunt, dass das Archiv immer noch so stark besucht wird.
Wie sah nach der Wende die Beziehung zu den West-Lesben aus?
In Berlin sind nach der Wende die Welten aufeinander geprallt, dabei gab es große Missverständnisse. Die politischen Handlungsräume waren sehr unterschiedlich. Beispielsweise hatten wir keine Erfahrung im Umgang mit Medien. Da hat uns die Unterstützung der Westfrauen gefehlt. Sie haben sich nicht wirklich für die DDR interessiert. Vielen Westlesben fehlte rückblickend die Sensibilität und das Bewusstsein. Ich bedauere sehr, dass es da so viel Unverständnis und somit auch verpasste Chancen gab.
Die lesbische Bewegung im Westen hatte sich als sehr feministisch verstanden. Im Osten musstet ihr viele Kämpfe nicht führen, die den Westfeminismus ausgemacht haben. Ihr durftet arbeiten, ihr hattet Kinderbetreuung, ihr durftet abtreiben.
Ich denke das ist auch ein wesentlicher Unterschied, der oft missverstanden wurde. In der DDR waren die Frauen quasi "vom Bauch her" emanzipiert. Die Situation war für Frauen im Osten durchaus besser als im Westen. Das betraf sowohl die Arbeitsmöglichkeiten, als auch die Kinderbetreuung. Es war leichter, als Frau eigenständig zu leben und frau musste niemandem erklären, wieso sie keinen Mann hatte. Ungewöhnlich hingegen war es, kein Kind zu haben. Familie und Beruf zu vereinen war wesentlich leichter in der DDR. Ironischerweise wurden wir nach der Wende dann als "Muttis" bezeichnet, ohne zu begreifen, dass die Vereinbarkeit von Mutterschaft und allem anderen eine enorme Errungenschaft war. Westliche Feministinnen hatten keine Kinder und waren von unseren überfordert. Es gab in ihren Gruppen keine Kinderbetreuung, das war im Osten völlig anders. Wir hatten auch bei unseren Lesbentreffen Kinderbetreuung! Wir waren keine Muttis, wir konnten Beruf und Familie um Einiges einfacher unter einen Hut bringen.
//Interview: Veronika Kracher
Das Interview erschien zuerst in der September/Oktober-Ausgabe von L-MAG, die hier noch ganz leicht als E-Paper bestellt werden kann. Mehr Artikel zu Lesben in der DDR gibt es in der September/Oktober-Ausgabe von L-MAG.
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