Wendepunkt in der Frauenbewegung
Es mussten positive Selbstbezeichnungen her. Prominente Unterstützung dafür kam aus den USA: Die Schwarze, feministische und lesbische Professorin, Dichterin und Autorin Audre Lorde hielt 1984 ihren ersten Vortrag an einer Berliner Universität und faszinierte das Publikum. „Es ist schwer zu erklären – sie strahlte solch eine Magie und Charisma aus. Und sie hat ein Modell vertreten, das hier niemand kannte: Eine ältere Schwarze Frau, die etwas zu sagen hat. Dieses Modell gab es in Deutschland nicht. Kompetente, erwachsene Schwarze Menschen kannte man nicht.”
Katharina erinnere sich noch, wie sie an einer Straßenbahnhaltestelle einem Schwarzen Mann begegnete, was sie ganz aus der Fassung brachte. „Das war ein richtiges Phänomen. Ich denke, das hat auch die Begegnung mit Audre ausgelöst. Es hat bei vielen ,Klick‘ gemacht, denn man wurde sich bewusst: sie kann ja nicht die Einzige sein.” Lordes Anwesenheit leitete einen Wendepunkt in der deutschen Frauenbewegung ein. Sie half Schwarzen Frauen eine Stimme und ein Bewusstsein für die eigene Identität zu finden. Die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)” und „Adefra e.V. – Schwarze Frauen in Deutschland”, gründeten sich und existieren bis heute. Zusätzlich wurde in Anlehnung an den Begriff „afroamerikanisch”, „afrodeutsch” eingeführt und vom Vorbild der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, die den Slogan „Black is beautiful” verwendete, „Schwarze Deutsche” abgeleitet.
Der deutsche Wortschatz war auf einen Schlag um zwei Begriffe reicher. Und das war eine aktive Entscheidung: „In der ersten Sitzung der ISD haben wir im Konsens darüber abgestimmt, in einer Runde von 30 bis 40 jungen Menschen“, berichtet Katharina, die live dabei war. Eine kleine Runde also, die die deutsche Sprachwelt für immer veränderte – heute sind die beiden Begriffe im deutschen Sprachgebrauch angekommen. Audre Lorde wurde bald ihre Mentorin und ermutigte die junge Studentin und ihre Freundin May Ayim mit den Worten „Stellt euch gegenseitig vor und präsentiert euch der Welt“, ein Buch über die Erfahrungen Schwarzer Frauen in Deutschland zu schreiben.
Die Geburtsstunde von „Farbe bekennen“. Warum ist es bis heute ein Standardwerk? „Das liegt daran, dass diese Art von Buch, in dem es um Lebenserfahrungen geht, das Einzige dieser Art ist. Unter anderem erzählen darin zwei ältere Schwarze Frauen von ihrer Kindheit in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, das war bahnbrechend. Vorher hatten wir keine Geschichte und wussten nicht, wie Afrodeutsche damals gelebt haben.“
Konflikte bei der Lesbenwoche
Während das Buch in der afrodeutschen Community gut ankam, begegneten den Autorinnen bei feministischen Veranstaltungen, zum Beispiel auf den Berliner Lesbenwochen, die sich seit 1986 auch mehr mit Rassismus auseinandersetzten, oft kritische Nachfragen. Anfang der 1990er kam es dann zum Konflikt. „Unser Coming-out als Schwarze Deutsche hat dazu geführt, dass weiße
Feministinnen mehr reflektieren mussten und klar wurde: Das sind Privilegien. Die weißen Deutschen hatten die ,Check-card of Privileges‘: Arbeitsrecht, Niederlassungsrecht, Reisefreiheit.
Wir als Afrodeutsche haben die zwar mit dem deutschen Pass auch ein stückweit, es wird uns aber immer wieder abgesprochen.“ Im Programmheft und den Protokollen der Lesbenwoche taucht Katharinas Name immer wieder auf. Sie war mittendrin, hat mitorganisiert und mitgestritten. Doch der Streit zehrte an ihr und auch an ihrer Partnerin. „Carolyn hat nach dieser Lesbenwoche zum Thema Rassismus, die ja relativ heftig auseinandergegangen ist, gesagt, sie wolle erst einmal nicht mit mehr als drei Lesben in einem Raum sein“, erzählt sie und muss bei der Erinnerung daran dennoch schmunzeln.
Die Lesbenwochen waren bekannt für ihre vehementen Auseinandersetzungen. Und es gab noch einen anderen Grund, weshalb sich Katharina aus der Lesbenbewegung zurückzog. Die Generation nach ihr beschäftigte sich mit anderen Themen – Queer-Theorie und Diskussionen um Geschlechtsidentität nahmen die Debatte ein, während der Dialog um Rassismus aus ihrer Sicht in den Hintergrund rückte. Ein Generationenwechsel, der wohl nicht geklappt hat. Wegen misslungener Kommunikation und fehlendem Verständnis auf beiden Seiten haben sich zwei Generationen ausgetauscht, ohne wirklich aufeinander aufzubauen.
Sehen wir uns heute Diskussionen um Rassismus in queeren Kreisen an, merken wir, dass bestimmte Dinge genauso schon vor dreißig Jahren diskutiert wurden: Die Sichtbarmachung von Privilegien, die Bezeichnung „Schwarz” als politischer Begriff, der Umgang mit der eigenen Positionierung und mit weißer „Scham” – heute gerne „white tears” (weiße Tränen) genannt. Auch führen wir in Deutschland immer noch verbitterte Kämpfe um die Nichtverwendung des N-Worts in Kinderbüchern und dafür, dass Schwarze Stimmen und Meinungen ernstgenommen werden. Wahrscheinlich hat Katharina Recht: „Wir hätten damals weitermachen sollen. Rassismus war noch nicht zu Ende diskutiert.”
// Hannah Geiger
Dieser Artikel erschien zuerst in der September/Oktober-Ausgabe von L-MAG, erhältlich als E-Paper.