Von Melanie Götz
1.5.2021 – Nachdenklich dreinblickend, mit Bubikopf und von eher androgyner Erscheinung, so hat man das Bild der bekanntesten deutschen Widerständlerin aus dem Kreis der „Weißen Rose“ vor Augen. Sophie Scholl (1921–1943) inspiriert bis heute viele, auch queere Menschen: Als draufgängerisch-burschikos wird die junge Frau von Zeitgenossen und Freundinnen beschrieben. Schon früh soll sie durch einen auffallend aufrechten Gang beeindruckt haben.
Am 9. Mai wäre der 100. Geburtstag von Sophie Scholl. „Kühnheit“ habe sie ausgezeichnet, ein abenteuerlustig-naturverbundener Freigeist, starker Glauben, aber auch ein „klarer Kopf“ und „mutiges Urteilsvermögen“. Eine neu erschienene Biografie, die mit umfangreichem Quellenapparat und Dokumentenanhang aus Ermittlungsakten und Verhörprotokollen aufwartet, wirft einen kritischen Blick auf die stark idealisierte Figur der Widerstandsikone Sophie Scholl.
Der „Weiße Rose“-Historiker Robert M. Zoske zeichnet in seinem „Porträt einer Widerständigen“ den Werdegang einer zerrissenen Freiheitsidealistin nach, die sich anfangs begeistert im nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädel (BDM) engagiert und allmählich den Sinneswandel zum Mitglied einer Widerstandsgruppe vollzieht. Die stolze Frau interessiert sich zusehends für selbstbewusste Künstlerinnen, die dem nationalsozialistischen Ideal der Frau als Mutter widersprechen. Schließlich will sie gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Scholl in der berühmten Münchner Flugblattverteilung 1943 die „feigen“ Deutschen zum Aufstand gegen die Nazis aufrütteln, was sie vor den „Volksgerichtshof“ und unter das Fallbeil brachte.
Auch wenn Zoske immer wieder auf den Bruch Sophie Scholls mit Geschlechterkonventionen zu sprechen kommt, abseits von Mädchenfreundschaften sowie der ambivalenten ersten Liebesbeziehung zu Freund und Wegbegleiter Fritz Hartnagel deutet wenig darauf hin, dass Sophie Scholl lesbisches Begehren gehegt hätte. Doch wenngleich sie selten Bekanntheit erlangten, gab es sie: Widerständige Frauen, die zweierlei Courage verkörperten – im engen Rahmen ihrer Zeit lesbisch zu leben und sich aktiv dem Nazizeitgeist zu widersetzen.
Überzeugte Kommunistinnen: Claude Cahun und Suzanne Malherbe
Dazu zählen die französisch-jüdische Schriftstellerin und Surrealistin Claude Cahun (1894–1954) und ihre Lebensgefährtin Suzanne Malherbe (1892–1972). Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 auf der Kanalinsel Jersey, wo das Paar einen Landsitz hat, bereiten die überzeugte Kommunistin Cahun und Malherbe gemeinsam Widerstandsaktionen vor. Malherbe kann gut Deutsch, und so gestalten sie gemeinsam Plakate, Fotomontagen und zahllose Flugblätter gegen die Nazi-Invasion. An Kirchen, Autos oder Polizeiwagen geheftete Desertationsaufrufe, unterzeichnet von den „Soldaten ohne Namen“, verunsichern die deutschen Besatzer.
Als Mann verkleidet ist die niederländische Cellistin, Dirigentin und Widerstandskämpferin Frieda Belinfante (1904–1995) mehrere Monate auf der Flucht, nachdem sie untertauchen musste. Der seit Herbst 1942 von ihr in der niederländischen Widerstandsgruppe CKC mitvorbereitete Anschlag auf das Amsterdamer Einwohnermeldeamt hatte Tausende Unterlagen zerstört, die es der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) erschweren sollte, gefälschte mit legalen Papieren abzugleichen.
Diese Widerstandsaktion gilt als eine der wichtigsten während der deutschen Besatzung. Schon zuvor hatte Belinfante – zunächst alleine, später gemeinsam mit einem Netzwerk aus Kunstschaffenden, in dem sie organisiert war – Menschen mit gefälschten Ausweisen versorgt, die als Juden verfolgt oder aus anderen Gründen von der Gestapo gesucht wurden. Ihr Weg in den militanten Widerstand beginnt zunächst mit kleinen Aktionen, für die viel Mut und Entschlossenheit nötig ist. So dirigiert Belinfante, selbst als „Halbjüdin“ deklariert, noch Anfang 1942 ein letztes Konzert vor jüdischem Publikum – trotz Verbots durch die niederländische Kulturkammer, in der sich seit der Besetzung im Mai 1940 alle Kunstschaffenden unter Vorlage einer „Ariererklärung“ anmelden mussten. Ganz bewusst verzichtet sie darauf, eine mögliche Ausnahmegenehmigung zu beantragen. Ihr teils mit jüdischen Mitgliedern besetztes Orchester hatte sie bereits zuvor aufgelöst – um es nicht den Nazis zu überlassen. 1943 muss die Musikerin in die Schweiz fliehen, 1947 emigriert sie in die USA.