Von Paula Lochte
1.9.2022 - Aufgewachsen ist Tiffany N. Florvil im Süden Floridas, aber als Schülerin verbrachte sie einige Zeit in Frankfurt am Main. Später schrieb sie eins der ersten umfassenden Bücher über die afrodeutsche Frauen- und Lesbenbewegung: „Mobilizing Black Germany“. Nächstes Jahr soll es auf Deutsch erscheinen. L-MAG hat die queere Geschichtsprofessorin per Videocall im Südwesten der USA erreicht, wo sie derzeit an der Universität von New Mexico forscht und unterrichtet.
Tiffany, Sie stammen aus Florida und arbeiten als Historikerin in New Mexico – woher kommt Ihr Interesse an deutscher Geschichte?
In der Mittelstufe hatte ich eine Brieffreundin, die in der Nähe von Frankfurt am Main gewohnt hat. Drei Jahre lang haben wir einander geschrieben, dann habe ich sie und ihre Familie besucht – und mich in Deutschland verliebt. Also habe ich ein paar Jahre später an einem Schüleraustausch nach Hamburg teilgenommen. Dort habe ich in einer Gastfamilie gelebt, Deutsch gelernt und Leistungskurse im Gymnasium besucht. In dieser Zeit habe ich eine Menge rassistischer Erfahrungen gemacht. Das hat mein Interesse an Schwarzen Communities in Deutschland geweckt: Ich wollte wissen, wie sie mit diesem konstanten Alltagsrassismus umgehen. Zurück in den USA habe ich dann alles gelesen, was ich über Schwarze Deutsche finden konnte.
Sie selbst haben eins der ersten Bücher über die afrodeutsche Frauen- und Lesbenbewegung geschrieben, die in den 1980er-Jahren begann. Was zeichnet diese Bewegung aus?
Zur Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland gehören Aktivistinnen mit Wurzeln in Afrika, Lateinamerika, Europa oder Asien. Das Adjektiv „Schwarz“ bezieht sie dabei nicht auf ihre Hautfarbe, sondern ist eine politische und kulturelle Selbstbezeichnung. Was diese Frauen unter anderem eint, sind ihre Unterdrückungserfahrungen. Sie kämpfen gegen Sexismus, Homofeindlichkeit und Rassismus – und für ihren Platz in Deutschland.
Im Jahr 1984 kam die lesbische, karibischamerikanische Schriftstellerin Audre Lorde als Gastprofessorin nach Berlin. Welche Rolle spielte sie für die Bewegung?
Audre Lorde war eine Inspiration. Die afrodeutschen Feministinnen haben ihre Werke verschlungen, ihre Texte übersetzt und viel Zeit mit ihr verbracht. In ihren Seminaren haben sich Aktivistinnen der Bewegung kennengelernt, wie die Dichterin May Ayim und die Schriftstellerin Katharina Oguntoye. Neben Audre Lorde waren aber auch viele weitere wichtig: Aktivistinnen, Studentinnen, Filmemacherinnen und Künstlerinnen, die in Berlin in der Diaspora lebten. All diese Frauen haben die Bewegung mit ihren Werken und den Initiativen, die sie gegründet haben, entscheidend geprägt.
Welche Initiativen waren das?
Zum einen der Verein Adefra, ursprünglich eine Abkürzung für afrodeutsche Frauen, der sich bis heute für Schwarze Frauen in Deutschland einsetzt. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben Katharina Oguntoye zum Beispiel Katja Kinder, Judy Gummich, Jasmin Eding und Ika Hügel-Marshall. Dann ist da ISD – die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Beide Organisationen gelten in der Forschung als Kulturinitiativen. Dem muss ich aber widersprechen! Sie sind genauso auch politische Organisationen, die sich für die Rechte Schwarzer Menschen in Deutschland stark gemacht haben. Und sie haben einen unheimlichen Erfahrungsschatz und viel Wissen generiert. In der Wissenschaft wird das oft übersehen. Dabei entsteht Wissen nicht nur an Universitäten, sondern auch in sozialen Bewegungen, sei es auf antirassistischen Demonstrationen, bei Poetry Slams, in Kunstausstellungen oder Schreibwerkstätten – und zwar Wissen darüber, was es heißt, Schwarz, weiblich und queer zu sein.