Klaus Lederer: Es geht an die Substanz
Queere Errungenschaften stehen unter Druck. Die CDU attackiert das Selbstbestimmungsgesetz, die AfD will gleich noch die Öffnung der Ehe zurückdrehen. Das Klima für uns wird auch in Berlin rauer. Was hier geschieht, hat Signalwirkung über Berlin hinaus. Immerhin, der CDU-SPD-Senat bekennt sich zum Schutz aller queeren Menschen. Darüber bin ich froh, weil das in der CDU leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Aber können wir wirklich darauf vertrauen, dass derSenat aktiv dafür kämpft, vor allem bei heftiger werdendem Gegenwind? Auch queere Projekte und Safer Spaces stehen unter dem Druck brutaler Haushaltskürzungen. Kulturelle und soziale Infrastruktur wurden davon komplett ohne Vorwarnung getroffen. Alle queeren Jugendzentren Berlins sollten nach der Kürzungsliste des Senats vom vergangenen Herbst gestrichen werden. Nur Protest und viel Solidarität aus der Stadtgesellschaft konnten diesen kaltschnäuzigen und ignoranten Plan abwenden. Aber insgesamt blieben die Kürzungen in der Summe stehen.
„Herzlos und geistlos“ nannte das, auf die Kultur bezogen, die frühere Berliner CDU-Chefin und Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Von einem auf den anderen Tag sollen manche Kulturorte Summen einsparen, die nahezu ihr komplettes künstlerisches Budget ausmachen – etwa das Jugendtheater FELD am Winterfeldtplatz im Nollendorf-Kiez. Die Wohnungsnotfallhilfe, die ohnehin prekäre Unterstützung für wohnungs- und obdachlose Menschen, ist gefährdet. Eine aktuelle Studie schätzt für Berlin die Zahl der betroffenen LGBTIQ* auf etwa 10.000 Menschen.
Zum Glück werden aktuell viele der queeren Projekte – Dank der Umsicht in der Senatsverwaltung für Antidiskriminierung – 2025 noch in gleicher Höhe weitergefördert. Angesichts steigender Kosten ist das trotzdem hart und die nächste Streichungsrunde ist schon angekündigt. Bis zum Sommer muss der Haushaltsentwurf des Senats für 2026/27 stehen. Weitere Milliarden sollen wegfallen.
Für das laufende Jahr 2025 hat die CDU-geführte Bildungsverwaltung Förderbescheide an queere Bildungs- und Jugendprojekte nur für drei Monate ausgestellt, mit der ominösen Ankündigung und kaum verhohlenen Drohung, ihre „Wirksamkeit“ prüfen zu wollen. Aber woran bemisst sich der Schutz queerer Menschen? Die Beschäftigten in den Projekten arbeiten in permanenter Unsicherheit. So lässt sich kaum Fachpersonal halten, geschweige denn gewinnen. Das lässt sich dann auch nicht mit Runden Tischen, Plakatkampagnen und Regenbogen-Toren kompensieren, mit denen sich CDU und SPD gern als „queerfreundlich“ selbst beweihräuchern.
Ja, die Berliner Haushaltssituation ist auch der Steuersituation und bei Investitionen der absurden Schuldenbremse geschuldet. Aber gerade deshalb ist es so unverständlich, dass CDU und SPD vor gut einem Jahr noch mal ordentlich die Schleusentore geöffnet haben, um ihre Prestigeprojekte zu finanzieren. Warum 2025 nicht alle Spielräume ausgeschöpft werden, stattdessen 11,5 Millionen für drei Spiele der US-Football-League ausgegeben werden, lässt sich nur mit falschen Prioritäten erklären.
Es fehlen positive Ideen, welche Entwicklung Berlin nehmen soll. Eher wird Kürzungsjahr um Kürzungsjahr ein wenig mehr die soziale und kulturelle Infrastruktur der Stadt geschliffen werden. Es fällt auf, dass es (besonders in CDU-Ressorts) vor allem Projekte und Themen trifft, die im Senat – dem reaktionären Zeitgeist folgend – als irgendwie „grün“ oder „links“ gelten. Investitionen in den klimagerechten Umbau verfallen im Kürzungsfuror, der Autoverkehr aber wird regelrecht hofiert.
Berlin war lange Zeit nicht nur eine kulturelle Hauptstadt Europas, sondern auch Vorreiterin für queere Emanzipation. Hier haben wir 2009 die „Initiative für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“, den ersten queeren Aktionsplan eines Bundeslands, gestartet. Außer in Bayern gibt es das jetzt überall! Was hier passiert, strahlt positiv wie negativ auf das Leben queerer Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus aus. Deshalb müssen wir gegen den Abbau unserer Infrastruktur laut zu sein. Das nimmt uns niemand ab!