Aus dem Heft

Digitale Selbstverteidigung mit queeren und feministischen Hacker:innen

14.5.2025 - Wie können wir unsere Daten im Internet besser schützen? Wie wehren wir uns gegen digitale Hassrede und Cyberhacking? Wie lässt sich Technik barrierefreier gestalten? L.MAG sprach mit Janis vom queerfeministischen Hacker:innen-Kollektiv Haecksen.

Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 3-2025 (Mai/ Juni)

Von Selina Hellfritsch

Alle zwei Monate wird das „Aquarium“, ein Veranstaltungsort in Berlin, zum digitalen Atelier: Technikbegeisterte Lesben und andere FLINTA* (= Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans* und agender Personen) tauschen sich hier über digitale Selbstverteidigung aus. Dabei wird kein Vorwissen verlangt und Menschen jeden Alters kommen zusammen. Ob mit Laptop, Handy oder Notizblock – Ziel ist, bei den sogenannten CryptoPartys voneinander zu lernen, wie man die eigenen Daten im Netz am besten schützt.

Das englische Wort „Crypto“ leitet sich von Kryptografie ab, also dem Verschlüsseln von Informationen. „Bei den CryptoPartys geht es darum, ein Verständnis für die Technologien zu entwickeln, denen wir unweigerlich ausgesetzt sind“, erklärt Mitorganisatorin Janis König im Gespräch mit L-MAG. „Viel Wissen ist zwar de facto online verfügbar, aber meist schwer zugänglich und teilweise sehr elitär aufgebaut.“

Mit den „Crypto-Partys“ solle hingegen ein niederschwelliger Zugang zu Wissen ermöglicht werden. Janis wohnt in Berlin und beschäftigt sich in ihrer Lohnarbeit mit Kryptografie, Softwarearchitektur und Informationssicherheit. Nebenbei engagiert sie sich ehrenamtlich nicht nur für die „Crypto-Party“, sondern auch bei den Haecksen, einem queerfeministischen Hacker:innen-Verein, der deutschlandweit und darüber hinaus vernetzt ist.

Hassrede im digitalen Raum nimmt zu

Ihre Arbeit ist hochaktuell, wie Janis und ihre Mitstreiter:innen wissen. In den wenigen Wochen, seit Donald Trump im Weißen Haus seine zweite Amtszeit angetreten hat, verbreiteten sich bereits einige alarmierende Nachrichten: Nach X (vormals Twitter) hat auch der Konzern Meta, zu dem unter anderem Facebook und Instagram gehören, seine Richtlinien für Hassrede gelockert. Demnach ist es nun in den USA nicht mehr verboten, LGBTIQ* zum Beispiel als „geisteskrank“ zu bezeichnen – während Google den „Black History Month“ und den „Pride Month“ aus seinem Kalender streicht.

Damit folgen die Konzerne der Stoßrichtung Trumps, Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion zu kürzen. Große Silicon Valley-Milliardäre wie Mark Zuckerberg (Meta), Elon Musk (X), Tim Cook (Apple), Sundar Pichai (Google) und Jeff Bezos (Amazon) sammeln und kommerzialisieren personenbezogene Daten.

Wenn Privatsphäre zur Ware wird

Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff nennt das „Überwachungskapitalismus“ und warnt schon lange davor, dass die Privatsphäre zur Ware wird. Deshalb, sagt Janis, sei es umso wichtiger, dass marginalisierte Gruppen wie FLINTA* sich selbst schützen können und sich zusammenschließen.

In Europa ist die Situation etwas besser als in den USA: Hier werden Nutzer:innen von Online-Plattformen durch das Gesetz über digitale Dienste („Digital Service Act“, DSA) geschützt. Das Gesetz sorgt für mehr Sicherheit und Transparenz im Internet und wurde von Meta-Chef Mark Zuckerberg bereits angegriffen und als „institutionalisierte Zensur“ bezeichnet. „Datenschutz wird in Deutschland oft zu Unrecht als Innovationsbremse verteufelt“, bemerkt Janis, „dabei macht er genau das, was er soll: uns schützen.“ Es sei ein gutes Zeichen, wenn sich Unternehmen wie Meta über unseren Datenschutz aufregen. Das zeige, dass sie nicht alle Daten abgreifen oder kommerzialisieren können.

Crypto-Partys: eine weltweite Graswurzelbewegung

Bei den Crypto-Partys will Janis neben praktischen Tipps auch dafür sensibilisieren, warum Datenschutz so wichtig ist. Crpyto-Partys sind als Graswurzelbewegung und aus dem Wunsch heraus entstanden, sich und andere im Netz zu schützen. Im September 2012 organisierte die australische Datenschutz-Aktivistin Asher Wolf in Melbourne das erste Treffen, bei dem sich Menschen darüber austauschen konnten, wie man E-Mails und Daten verschlüsselt und sich anonym durchs Internet bewegt.

Innerhalb weniger Wochen entwickelte sich eine internationale Bewegung, die „Crypto-Partys“ auf der ganzen Welt aufblühen ließ. Über die Website cryptoparty.in werden die Veranstaltungen bis heute koordiniert und sind in zahlreichen Groß- und Kleinstädten vertreten.

Die Hacking-Szene galt lange als weiß, hetero und männlich und ist bis heute davon dominiert. Trotzdem sieht die Realität mittlerweile auch so aus: Netzwerke und Orte, an denen Frauen, Lesben und andere Queers sich zur digitalen Welt und Technik austauschen, finden sich in ganz Deutschland. Die Themen, die auf FLINTA*- Workshops besprochen werden, unterscheiden sich dabei oft von denen in allgemeinen Spaces, wie Janis berichtet. „Es ist wichtig, dass es FLINTA*-Spaces innerhalb der Hacking-Szene gibt, weil dann häufiger Themen wie Online-Sicherheit im Fokus stehen.“

Keine Vorkenntnisse? Kein Problem!

Auch bei den Haecksen gilt: Das Angebot richtet sich an alle technikinteressierten FLINTA* und setzt keine Vorkenntnisse voraus. „Ich finde es super wichtig, Menschen zu befähigen“, sagt Janis. „Insbesondere im Kontext von Feminismus, Hacking und Sicherheit.“ Die Haecksen setzen sich dafür ein, intersektionale und feministische Standpunkte in der Hacker:innen-Szene zu verankern und außerdem Technik barrierefreier zu gestalten. Das fängt bei einfacher Sprache auf Websites an, geht über Bildbeschreibungen und Screenreader bis zur digitalen Bezahlung im öffentlichen Raum.

Die Haecksen wurden bereits 1988 von Rena Tangens und Barbara Thoens gegründet. Mittlerweile sind sie ein eingetragener Verein, sehen sich mit über 1000 Mitgliedern aber eher als basisdemokratisches Kollektiv, in dem Personen in Eigeninitiative verschiedene Projekte umsetzen können.

Webseite, die über Cyberstalking aufklärt

Eines davon ist ein Anti-Stalking-Projekt – eine Website, die Betroffene über Cyberstalking aufklärt und dabei hilft, Überwachungsmechanismen zu erkennen. Denn digitale Anwendungen können missbraucht werden, um zum Beispiel E-Mails mitzulesen oder den Standort zu ermitteln. „Digitale Selbstverteidigung ist besonders für FLINTA*-Personen wichtig. Es gibt viele Gefahren und ein konkretes Beispiel ist eben Stalking im Netz“, erklärt Janis.

Laut dem Lagebild des Bundeskriminalamtes zu geschlechterspezifischer Gewalt waren 2023 über 17.000 Frauen von digitaler Gewalt betroffen. Die Plattform netzpolitik.org kritisiert dabei, dass die Datenerfassung unvollständig sei und Tatbestände wie „Hass im Netz“ nicht verzeichnet wurden. Außerdem wurden Menschen nicht berücksichtigt, die sich nicht innerhalb der zweigeschlechtlichen Norm sehen.

Mehr digitale Gewalt gegen FLINTA*, als es die Statistiken abbilden

Daraus folgt: Digitale Gewalt gegen Frauen und trans, inter, nicht binäre und agender Personen ist ein noch größeres Problem, als in den Statistiken abgebildet wird. „Wir verstehen uns als Hilfestellung zum Verständnis der Problematik. Sensibilisierung ist wichtig, um Themen überhaupt erst wahrzunehmen“, sagt Janis. Trotzdem möchte sie betonen, dass die Haecksen nicht in allen Bereichen fachlich ausgebildet seien und bei Stalking keine juristische oder psychologische Beratung ersetzen können.

Lokale Haecksen-Gruppen gibt es mittlerweile in deutschen, österreichischen und Schweizer Städten und auch die überregionale Vernetzung zu einem großen FLINTA*-Netzwerk ist einzigartig. „Es gibt einen Grund, warum viele queere Menschen an der Hacking-Szene interessiert sind: Es ist eine Szene für Leute, die anders sind, die vielleicht auch ausgegrenzt wurden und die dort Anschluss suchen“, erklärt Janis.

Schutz im Netz - weil es sonst niemand tut

Und es seien Leute, die daran Interesse haben, sich im Netz selbst zu schützen, weil es sonst niemand tue. Ein weiterer Pluspunkt für einige queere Menschen: Viele suchen sich innerhalb der Hacking-Szene ihren eigenen Namen aus, eine selbstbestimmte Identität. „Die meisten haben ein Hacker:innen-Handle, unter dem man sich kennt.“

Innerhalb der Hacker:innen-Szene sind die Haecksen auch auf den Veranstaltungen des Chaos Computer Club (CCC) vertreten, bieten Möglichkeiten zur Vernetzung, Workshops und Vorträge an, beispielsweise zu „Green Coding“ oder Cyberstalking. Der Kongress des CCC findet jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr statt und versammelt die internationale Hacking-Szene in Deutschland. „Wir sind nicht Teil des Chaos Computer Club, aber eine Anlaufstelle für FLINTA*“, sagt Janis.

Hacking-Szene immer noch von weißen, cis-hetero Männern geprägt

Eine, die benötigt wird. Denn der CCC sei ein Spiegel der Branche, die noch immer deutlich von weißen, cis-hetero Männern geprägt sei. Das ändere sich mehr und mehr, wobei auch viele beim CCC dankbar für die Haecksen seien und darüber, wie sie die Situation für alle verbessern. „Bei Chaos- Veranstaltungen merke ich, dass viele Themen besprochen und geklärt werden, bevor sie in der breiten Bevölkerung ankommen“, so Janis, „zum Beispiel sind Unisex-Klos, FLINTA*-Räume und eine gute Fehlerkultur schon länger Standard.“

Was Janis aber noch immer negativ auffällt: „Die Hacking-Szene – auch unsere – ist immer noch sehr weiß dominiert. Das ist ein Problem.“ Auch die Haecksen scheitern aktuell daran, PoC (People of Colour) zu erreichen, versuchen es aber weiterhin.

Feministische Hacking-Convention im Juni
In diesem Jahr veranstalten die Haecksen vom 4. bis 6. Juli erstmals eine „Chaos Feminist Convention“ unter dem Motto „Utopia Test Environment“. Die Convention findet im Kulturhaus Eidelstedt in Hamburg statt. Dort wollen sie der Frage nachgehen: Was bedeutet technologische Entwicklung in einer Gesellschaft, die von queerfeministischen Werten geprägt ist? Ein wichtiger Ansatz – denn damit räumen die Haecksen nicht nur mit kapitalistischen und rechtspopulistischen Narrativen auf, sondern setzen auch eigene, neue Erzählungen an deren Stelle.

Hier geht's zur Webseite der Haecksen

 

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