Von Dana Müller
22.12.2019 - Vor ein paar Jahren habe ich meinen Bruder gefragt, ob wir Heiligabend zusammen verbringen wollen. „Und was machen wir dann? Streiten wir uns in alter Familientradition?“, war seine amüsierte Reaktion. Also habe ich ihn nie wieder gefragt. Als unsere Eltern noch lebten, war die „besinnliche Zeit“ oft geprägt von Streit und der Eskalation tiefsitzender Konflikte. Eltern, Kinder, Onkel, Tanten, Cousinen, Großeltern – wo viel Familie ist, ist auch viel Streitpotenzial.
Wir verbrachten früher „schön“ bürgerlich-wohlständige Weihnachten. Papa baute am 24. den Weihnachtsbaum mit uns Kindern auf, Mutti packte Geschenke ein. Ich rannte aufgeregt durch das schick dekorierte Eigenheim auf der Suche nach Plätzchen. Spätestens bei der ersten kaputten Weihnachtsbaumkugel oder der Frage nach der passenden Kleidung (ich wollte weder diese kratzigen Woll-Strumpfhosen noch das schicke Kleidchen tragen) gab es schon vor der Bescherung den ersten tränenreichen Streit.
Wer verbringt wirklich perfekt-liebevolle Festtage?
„Aber Weihnachten ist doch das Fest der Liebe und der Familie!“ Mal ehrlich, wer verbringt wirklich perfekt-liebevolle Festtage? Wo gibt es überhaupt noch diese „heile“ 60er Jahre Knorr-Familie? Scheidung, Tod, neue Partnerschaften und neue Kinder – gerade in der LGBT-Community ist das Verhältnis zu Eltern und anderen Verwandten doch oft sehr komplex.
Aber spätestens Anfang Dezember fordert uns der Kapitalismus in seinem funkelndsten Antlitz auf: Liebt euch, denkt an die christlichen Werte … ach, und vergesst dabei nicht, möglichst viel zu konsumieren! Klar, den Handel freut‘s!
Die Nachbarschaft leuchtet, Fenster und Türen sind bis zum Erbrechen dekoriert und beim Supermarkt um die Ecke gibt es nur ein Thema: „Merry X-Mas“. Es scheint aussichtslos, dem Konsumwahn und der zwanghaften guten Laune zu entkommen. Kitsch und Geschmacklosigkeit prägen das Straßenbild.
„Und was machst du zu Weihnachten?“
Wer nicht mitfeiern will (oder kann), hat Pech und muss sich erklären. Denn wenn man nicht gerade zurückgezogen als Eremit lebt, wird man zum Jahresende immer von jemand gefragt: „Und was machst du zu Weihnachten?“ Dabei sind die Weihnachtstage für einen Großteil von uns nervtötend und stressig.
Wie viele Lesben, Schwule, Trans, Bisexuelle, Intergeschlechtliche und Queers fahren über die Feiertage nicht zu Eltern und Co.? Oder quälen sich pflichtbewusst hin, ertragen alte Konflikte und doofe Fragen. Und trotzdem schreit uns die Welt entgegen, dass wir mitfeiern und glücklich sein sollen.