Von Annabelle Georgen
29.4.2024 - Deborah Moses Sanks wurde am 26. April mit dem Berliner Preis für lesbische* Sichtbarkeit ausgezeichnet. Neben der Fotografin wurden auch Annet CJ und die Macherinnen des ehemaligen lesbisch-feministischen Schabbeskreises geehrt.
Deborah Moses Sanks hat vielen unsichtbaren und unerhörten Frauen durch ihre Bilder eine Stimme gegeben und ist beim queer-feministischen Verein „Adefra – Schwarze Frauen in Deutschland“ aktiv.
Standing Ovations für Deborah Moses Sanks
Die in Berlin lebende Schwarze Dokumentarfotografin aus den USA ist sichtlich aufgeregt und berührt, als die Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kızıltepe (SPD) ihren Namen im Mikrofon ausspricht. Sie steht gleich auf, elegant in ihrem hellen Anzug mit frühlinghafter, blumiger Fliege. Das Publikum gibt ihr eine lange Standing Ovation, bevor die 74-Jährige mit Model-Figur zur Bühne gelangt.
Nach diesem euphorischen Bad in der Menge hält Deborah Moses Sanks eine starke Dankesrede auf Englisch. Die US-Amerikanerin lebt zwar seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Deutschland und spricht Deutsch, Englisch bleibt aber ihr Lieblingsausdruckmittel – neben der Fotografie. Geehrt wird sie für ihre Arbeit als Fotografin, die das Leben von unsichtbaren Frauen dokumentierte – obdachlose Frauen in den Straßen Washingtons, Kriegsgeschädigte in Angola und später die Berliner Aktivistinnen vom queer-feministischen Verein „Adefra – Schwarze Frauen in Deutschland“.
„Als ich in den frühen 2000ern in Berlin ankam, schloss ich mich fast sofort dem Schwarzen queer-feministischen Kollektiv Adefra an. Es war die größte Ehre meines Lebens, an der Dokumentation ihrer intersektionellen Arbeit beteiligt zu sein“, sagte Deborah Moses Sanks in ihrer Rede.
„Ich habe so vieles verpasst, weil ich mich verstecken musste“
Die Schwarze Aktivistin ist 1949 in Washington D.C. geboren und im Bronx/ New York aufgewachsen. Sie wird mit 19 schwanger und muss den Vater des Kindes heiraten. Dieses erste Leben als Hetero-Frau hat sie jahrelang daran gehindert, ihr Lesbischsein auszuleben, wie sie gegenüber L-MAG erzählt : „Meine erste lesbische Beziehung hatte ich erst mehrere Jahre später. Ich habe aber 30 Jahren ‚im Schrank‘ verbracht. Ich habe so vieles verpasst, weil ich mich verstecken musste. Ich war sehr aktiv bei der Kirche und traute mir ein Coming-out nicht zu.“
Als sie sich in eine Frau in Deutschland verliebt, hat sie dann endlich den Mut, sich gegenüber ihre Familie zu outen. „Für meine Familie in den USA war es aber keine Überraschung“, lacht Deborah heute. „Meine Tochter meinte : ‚Wir wussten das immer. Wir haben nur darauf gewartet, dass du uns es sagst.‘“
Seitdem fühlt sie sich wohl mit ihrem Lesbischsein. Mit 74 Jahre alt hat sie sich nun enschieden, ein neues Kapitel aufzuschlagen: Deborah will Model werden. Sie hat neulich einen Vertrag mit der alternativen Agentur Misfit Model unterschrieben. Damit möchte sie auch „50, 60, 70 und 80 Jahre alte Frauen inspirieren, neue aufregende Dinge anzufangen“, wie sie in ihrer Rede sagt.
Ehrungen auch für Aktivistin Annet CJ und Schabbeskreis
Auch die beiden anderen Nominierten auf der Shortlist, Aktivist:in Annet CJ und die Macherinnen des ehemaligen lesbisch-feministischen Schabbeskreises, wurden ausgezeichnet.
Den Schabbeskreis gab es von 1985 bis 1989 in West-Berlin. Diese Gruppe von jüdischen Lesben traf sich einmal die Woche, um sich unter anderem über religiösen Texten und den Platz der Frauen im Judentum auszutauschen. Das Ziel der Macherinnen war aber auch, die weibliche Seite des Judentums sichtbar zu machen.
Annet CJ ist ein bekanntes Gesicht in der queer-lesbischen Community Berlins: Unermüdlich, immer sichtbar und fröhlich, eine Regenbogen-Fahne um die Schulter eingewickelt, ist Annet bei den LGBTIQ*-Events der Stadt dabei. „Die Mut hole ich mir auf der Straße“, wie Annet im Interview mit L-MAG sagt.
„Geht raus! Und seid nicht nur an einem Tag sichtbar!“
Annets Botschaft an die Berliner Lesben (und die kann auch für ganz Deutschland gelten): „Traut euch, habt den Mut! Geht raus! Und seid nicht nur an einem Tag sichtbar. Dieses Jahr haben wir Schaltjahr, wir können also sogar 366 Tage sichtbar sein. Und dies nicht nur, wenn irgendwo was passiert, sondern solidarisiert euch, bildet Allianzen. Weil wir sollten auch innerhalb der Community uns mehr stärken. Weil wir haben eigentlich ganz andere politische Probleme, die ernsthaft sind.“
Der Berliner Preis für lesbische* Sichtbarkeit wird seit 2018 alle zwei Jahre vom Land Berlin vergeben, die Auswahl trifft eine unabhängige Jury. Die Preisträgerin erhält 5000 Euro, die beiden Shortlist-Nominierten bekamen in diesem Jahr erstmals jeweils 1000 Euro.