Eine sofortige gegenseitige Faszination ist spürbar
Zunächst streifen sich die Lebenswelten dieser beiden so unterschiedlichen Frauen nur flüchtig: Ein bisschen Smalltalk übers Wetter, eine gemeinsame Zigarette. Doch eine sofortige gegenseitige Faszination ist spürbar.
Immer öfter taucht Anja in Isabells Umfeld auf, dringt fast schon offensiv in deren Leben ein. Und Isabell öffnet ihr bereitwillig die Tür. Ist es eine erotische Anziehung? Die Sehnsucht nach einem ganz anderen Leben? Oder eine weitaus dunklere Absicht?
Weisse überlässt es ihren Zuschauer:innen, aus den fragmentarischen Episoden schlüssige Biographien zusammenzusetzen, den Motiven nachzuspüren, die Anja und Isabell zueinander hinziehen. Isabell, begreifen wir allmählich, hat sich von ihrem Ehemann entfremdet und hadert, in der Mitte ihres Lebens angekommen, mit der Kinderlosigkeit. Ihr Vater, ein berühmter Architekt, bleibt der Patriarch, der selbst vom Rollstuhl aus noch Ehefrau und Tochter dominiert.
Auf dem schmalen Grat zwischen Begehren und Identifikation
Anjas Vergangenheit und Familienverhältnisse hingegen bleiben weitgehend im Dunkeln. Mehrmals ertappen wir sie dabei, wie sie Isabell anlügt. So schleicht sich in manche Szenen eine unterschwellige Beklemmung, die an die homoerotischen Spannungen in Psychothrillern wie „Der talentierte Mr. Ripley“ oder „Weiblich, ledig, jung, sucht …“ erinnert.
Weisse jedoch entscheidet sich dafür, das vieldeutige Knistern unaufgelöst und ihre Hauptfiguren weiter auf dem schmalen Grat zwischen Begehren und Identifikation wandeln zu lassen.
Manchen mag das zu vage sein. Die großartige Schauspielleistung von Hoss und Rosendahl und nicht zuletzt die herausragende Kameraarbeit von Judith Kaufmann sorgen jedoch dafür, dass man trotz der Leerstellen immer wieder ins Geschehen hinein geholt wird. Auf einer rationalen Ebene bleiben viele Fragen offen; dafür entlässt einen „Zikaden“ mit starken sinnlichen Eindrücken und ambivalenten Affekten, die noch lange nachwirken.
Zikaden. Deutschland/Frankreich 2025. Regie/ Buch: Ina Weisse, 100 Minuten. Kinostart: 19. Juni 2025